Gericht kippt VOC-Prüfung in Bauordnung

Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hat die auf der MVV-TB basierende Verwaltungsvorschrift der Landesbauordnung bezüglich VOC-Emissionen außer Vollzug gesetzt.

Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) hat am 10. Juli 2019 den Anträgen zweier Hersteller von OSB- bzw. Grobspanplatten auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entsprochen: damit hat der VGH die – der Musterverwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen (MVV-TB) entsprechende – Verwaltungsvorschrift im Rahmen der Landesbauordnung Baden-Württemberg hinsichtlich bestimmter, ab dem 1. Oktober 2019 auch für Holzwerkstoffe geltenden Anforderungen an VOC-Emissionen für voraussichtlich nicht rechtens erklärt und vorläufig außer Vollzug gesetzt.

Hersteller von Holzwerkstoffen beklagen hohe Umstellungskosten

Mit den angegriffenen technischen Baubestimmungen müssen alle Bauprodukte mit Kontakt zum Innenraum, darunter auch besagte Holzwerkstoffe, die Anforderungen des AgBB (Ausschuss zur gesundheitlichen Bewertung von Bauprodukten) hinsichtlich der von ihnen ausgehenden flüchtigen organischen Verbindungen (VOC) einhalten. Die klagenden Hersteller fürchten um die Verkehrsfähigkeit ihrer OSB-Platten, da sie die vorgegebenen Werte jedenfalls nicht vollständig einhalten könnten, was unter Inkaufnahme nicht unerheblicher Umsatzeinbußen eine aufwändige Umstellung ihrer Produktion und Lagerung bedingen würde. Sie machen geltend, dass von VOC ausgehende gesundheitsschädliche Wirkungen trotz umfassender wissenschaftlicher Untersuchungen bislang nicht hätten nachgewiesen werden können. Außerdem verstoße die Verwaltungsvorschrift gegen europäisches Recht.

Möglichen Gefahren und Risiken nicht mit Bauordnungsrecht begegnen

In den Beschlüssen führt der 8. Senat des VGH aus, dass die angegriffenen Technischen Baubestimmungen voraussichtlich nicht den sich aus der Landesbauordnung ergebenden gesetzlichen Anforderungen entsprächen. Denn das Vorliegen einer hierfür erforderlichen abstrakten Gefahr, unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls, die von den VOC-Emissionen allgemein ausgehe, habe der Gesetzgeber nicht darlegen können. Etwa nur möglichen Gefahren oder Risiken könnten die Baurechtsbehörden aber nicht mit den Mitteln des Bauordnungsrechts begegnen. Wie mit solchen Risiken umzugehen sei, müsse der zuständige (Bundes-)Gesetzgeber entscheiden.

Normenkontrollverfahren anhängig

Darauf, ob die angegriffenen technischen Baubestimmungen auch gegen europäisches Recht verstoßen könnten, komme es danach nicht mehr an. Fänden die beanstandeten Bestimmungen in der Landesbauordnung voraussichtlich keine Rechtsgrundlage, könne den Antragstellerinnen vor einer endgültigen Klärung in den beim Senat bereits anhängigen Normenkontrollverfahren nicht zugemutet werden, ihre Produktion und Lagerung aufwändig umzustellen. Die Beschlüsse sind unanfechtbar (Az. 8 S 2962/18 und 8 S 3008/18).

Weitere Auswirkungen der Gerichtsentscheidung vermutet

Wie natureplus Geschäftsführer Thomas Schmitz vermutet, dürfte dieses Urteil weitere Auswirkungen über das Land Baden-Württemberg und die Holzwerkstoffe hinaus haben. Denn auch nahezu alle anderen Bundesländer haben inzwischen die vom DIBT erlassene MVV-TB in ihre Landesbauordnung übernommen. Durch diese Mustervorschrift versuchten die Bundesbehörden die Lücke im Gesundheitsschutz zu schließen, die durch das Urteil des EuGH entstanden war, welches die nationale Zulassung von Bauprodukten verbot, welche mit einer Gesundheitsprüfung bezüglich VOC-Emissionen verbunden war. Derzeit gilt lediglich die europäische CE-Zulassung, die eine Emissionsprüfung (noch) nicht vorsieht.

Unterschied zwischen schädlich und riskant

Das höchstrichterliche Urteil aus Baden-Württemberg lässt große Bedenken aufkommen, ob das Bauordnungsrecht für den Gesundheitsschutz im Sinne von Gefahrenvorsorge den richtigen rechtlichen Rahmen bietet. Denn im Unterschied zu einzelnen eindeutig gesundheitsschädlichen und z.B. verbotenen Substanzen besteht die Summe flüchtiger organischer Verbindungen, die hier zur Bewertung herangezogen wird, auch aus zahlreichen toxikologisch nicht eindeutig geklärten Verbindungen, welche in üblicherweise geringer Konzentration "nur" ein gesundheitliches Risiko mit sich bringen. Vor dem Dilemma, wie dieses Risiko zu bewerten ist, insbesondere wenn es auch biogene, natürliche Emissionen aus Holz oder Naturölen betrifft, stehen selbst die Fachleute. Die Lücke im Gesundheitsschutz beim Bauwesen wird also voraussichtlich noch länger bestehen.

Label bieten Sicherheit

Wie Schmitz weiter ausführt, können deshalb um den Gesundheitsschutz in Gebäuden besorgte Bauherren bei der Auswahl von Bauprodukten nur auf unabhängige Emissionsprüfungen vertrauen, die als Bestandteil verschiedener Prüfzeichen und Umweltlabels bereits etabliert sind. Das natureplus-Umweltzeichen bietet mit seinen anerkannt strengen Prüfkriterien hier ein besonders hohes Schutzniveau - auch bezüglich Holzwerkstoffen. Dies wurde unlängst auch wieder durch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) bestätigt.

(Quelle: www.natureplus.org, NATUREPLUS Newsletter; August 2019)
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